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Ein Beitrag der ETL Rechtsanwälte
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Die Arbeitszeit muss erfasst werden – 25 Fragen und 25 Antworten!

Die Arbeitszeit muss erfasst werden – 25 Fragen und 25 Antworten!


Im September 2022 hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) für eine faustdicke Überraschung gesorgt. Es hat nämlich ohne das damit zu rechnen gewesen wäre entschieden, dass Arbeitgeber verpflichtet seien, Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer zu erfassen, soweit der Gesetzgeber nicht im Einklang mit europarechtlichen Vorgaben eine hiervon abweichende Regelung getroffen habe.

Nachstehend beantworten ETL Rechtsanwälte in 25 Fragen und 25 Antworten bedeutsame rechtliche Hintergründe der BAG-Entscheidung und deren praktische Folgen.

Stand: 7. Dezember 2022

  1. Wo findet sich die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zur Arbeitszeit?

Der Beschluss des BAG v. 13. September 2022 (Aktenzeichen 1 ABR 21/22) ist im Internet veröffentlicht worden. Er findet sich unter folgendem Link:

https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/1-abr-22-21/

  1. Was sind die Kernaussagen des Beschlusses des Bundesarbeitsgerichts zur Arbeitszeit?

Die nach Einschätzung des Gerichts maßgeblichen Aussagen finden sich in den sog. Leitsätzen der Entscheidung. Von diesen gibt es zwei. Die Leitsätze lauten wie folgt:

„1. Arbeitgeber sind nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet, Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer zu erfassen, für die der Gesetzgeber nicht auf der Grundlage von Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG eine von den Vorgaben in Art. 3, 5 und 6 Buchst. b dieser Richtlinie abweichende Regelung getroffen hat.

  1. Dem Betriebsrat steht kein – über einen Einigungsstellenspruch durchsetzbares – Initiativrecht zur Einführung eines elektronischen Systems zu, mit dem die tägliche Arbeitszeit solcher Arbeitnehmer erfasst werden soll.“

Natürlich geht der Inhalt des BAG-Beschlusses über die Leitsätze hinaus. Dazu die weitergehenden Fragen und Antworten 3 bis 20.

  1. In der Entscheidung des BAG hat sich ein Betriebsrat an die Arbeitsgerichte gewandt – warum ist der Beschluss des BAG auch für Betriebe und Unternehmen ohne Betriebsrat maßgeblich?

Es stimmt, dass es in dem durch das BAG entschiedenen Fall um einen Rechtsstreit ging, an dem ein Betriebsrat und mehrere Arbeitgeber beteiligt waren. Und dennoch betrifft der Beschluss des BAG nicht allein Fragen betrieblicher Mitbestimmung nach dem Betriebsverfassungsgesetz, sondern darüber hinaus elementare Gesichtspunkte, die grundsätzlich für jedes Arbeitsverhältnis von Bedeutung sind. Die Entscheidung des BAG ist auch für solche Arbeitgeber von größter Bedeutung, in deren Betrieb kein Betriebsrat existiert.

  1. Das Bundesarbeitsgericht hält den durch den Betriebsrat gestellten Antrag für unbegründet und entscheidet zugleich, dass Arbeitgeber eine Pflicht zur Arbeitszeitaufzeichnung trifft. Wie passt das zusammen?

Es ist aus Laiensicht schwer nachzuvollziehen, wieso der Betriebsrat die von ihm angestrengte rechtliche Auseinandersetzung verliert und zugleich – wenn man das so formulieren möchte – die Arbeitnehmerseite obsiegt hat. Der Grund liegt vereinfacht dargestellt in Folgendem: Der Betriebsrat in dem durch das BAG abschließend entschiedenen Fall hatte beantragt gerichtlich festzustellen, dass ihm hinsichtlich der Einführung einer elektronischen Zeiterfassung im Betrieb zweier Arbeitgeber ein Mitbestimmungsrecht nach dem Betriebsverfassungsgesetz – genauer nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) – zusteht. Dieses Recht hat das BAG letztlich verneint, weil es nach Auffassung des BAG bereits eine gesetzliche Regelung gibt, die das vom Betriebsrat erstrebte Mitbestimmungsrecht gewissermaßen „sperrt“. Im Beschluss des BAG heißt es insoweit wörtlich (Rn. 16 bis Rn. 19 des Beschl. v. 13.09.2022):

„II. Der Antrag ist unbegründet. Dem vom Betriebsrat geltend gemachten Initiativrecht steht § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. BetrVG entgegen.

  1. Nach § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. BetrVG besteht kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats, soweit die betreffende Angelegenheit gesetzlich geregelt ist. Das beruht auf der Erwägung, dass der Mitbestimmungszweck nicht erreicht werden kann, wenn und soweit eine den Arbeitgeber bindende und abschließende gesetzliche Vorschrift existiert. Wird der Mitbestimmungsgegenstand durch eine solche Norm inhaltlich und abschließend geregelt, besteht für die Betriebsparteien keine Ausgestaltungsmöglichkeit. Verbleibt dem Arbeitgeber dagegen trotz bestehender normativer Regelung ein Gestaltungsspielraum, ist ein darauf bezogenes Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats eröffnet (BAG 22. Juli 2014 – 1 ABR 96/12 – Rn. 14 mwN, BAGE 148, 341).
  2. Der Gesetzesvorbehalt des § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. BetrVG gilt auch, soweit die in § 87 Abs. 1 BetrVG aufgeführten Mitbestimmungstatbestände dem Betriebsrat ein Initiativrecht zur Einführung oder Regelung einer betrieblichen Angelegenheit gewähren. Wenn – und soweit – für den Arbeitgeber eine bindende gesetzliche Verpflichtung zur Vornahme einer bestimmten betrieblichen Maßnahme besteht, ist kein Raum mehr für ein darauf gerichtetes Initiativrecht des Betriebsrats.
  3. Danach steht dem Betriebsrat das reklamierte Initiativrecht nicht zu. Die Arbeitgeberinnen sind schon kraft Gesetzes verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem Beginn und Ende und damit die Dauer der Arbeitszeiten einschließlich der Überstunden in ihrem gemeinsamen Betrieb erfasst werden [Hervorhebung durch den Verfasser]. Deshalb kann sich ein Initiativrecht des Betriebsrats – wie hier vom Antragsteller erstrebt – nicht auf die Einführung – das „Ob“ – einer darauf bezogenen Zeiterfassung richten.“
  4. Aus welcher Vorschrift folgt die Pflicht des Arbeitgebers, die Arbeitszeit aufzuzeichnen?

Mit dieser Frage beschäftigt sich das Bundesarbeitsgericht ausführlich. Das Gericht nennt eine ganze Reihe rechtlicher Bestimmungen, denen eine Pflicht des Arbeitgebers zur Arbeitszeitaufzeichnung entnommen werden könnte. Letztlich sieht das BAG den entscheidenden Anknüpfungspunkt in § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG (Arbeitsschutzgesetz). § 3 ArbSchG lautet wie folgt:

„(1) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen. Er hat die Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen und erforderlichenfalls sich ändernden Gegebenheiten anzupassen. Dabei hat er eine Verbesserung von Sicherheit und Gesundheitsschutz der Beschäftigten anzustreben.

(2) Zur Planung und Durchführung der Maßnahmen nach Absatz 1 hat der Arbeitgeber unter Berücksichtigung der Art der Tätigkeiten und der Zahl der Beschäftigten

  1. für eine geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel bereitzustellen sowie
  2. Vorkehrungen zu treffen, daß die Maßnahmen erforderlichenfalls bei allen Tätigkeiten und eingebunden in die betrieblichen Führungsstrukturen beachtet werden und die Beschäftigten ihren Mitwirkungspflichten nachkommen können.

(3) Kosten für Maßnahmen nach diesem Gesetz darf der Arbeitgeber nicht den Beschäftigten auferlegen.“

Im Beschluss des BAG v. 13.09.2022 heißt es in Rn. 42 f. wörtlich:

„d) Die Pflicht der Arbeitgeberinnen, ein System einzuführen, mit dem sämtliche Arbeitszeiten im Gemeinschaftsbetrieb erfasst werden, folgt jedoch aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG.

  1. aa) Nach dieser Rahmenvorschrift (vgl. auch BAG 18. März 2014 – 1 ABR 73/12 – Rn. 23, BAGE 147, 306) hat der Arbeitgeber zur Planung und Durchführung der Maßnahmen nach § 3 Abs. 1 ArbSchG unter Berücksichtigung der Art der Tätigkeiten und der Zahl der Beschäftigten für eine „geeignete Organisation“ zu sorgen und die „erforderlichen Mittel“ bereitzustellen. Bei unionsrechtskonformem Verständnis beinhaltet die gesetzliche Regelung auch die – grundsätzliche – Verpflichtung der Arbeitgeberinnen, ein System zur Erfassung der von ihren Arbeitnehmern geleisteten täglichen Arbeitszeit einzuführen, das Beginn und Ende und damit die Dauer der Arbeitszeit einschließlich der Überstunden umfasst.“

Und in Rn. 63 sagt das BAG:

„ aa) Die Arbeitgeberinnen sind nach der Rahmenvorschrift des § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG (vgl. dazu BAG 18. März 2014 – 1 ABR 73/12 – Rn. 23, BAGE 147, 306) verpflichtet, ein System einzurichten, mit dem Beginn und Ende und damit die Dauer der Arbeitszeiten einschließlich der Überstunden der Arbeitnehmer in ihrem gemeinsamen Betrieb erfasst werden. Damit besteht für sie eine objektive gesetzliche Handlungspflicht.“

  1. Hat der Arbeitgeber die Arbeitszeitdaten lediglich zu „erheben“ oder müssen diese Daten auch erfasst und damit aufgezeichnet werden? Beschränkt sich die Pflicht des Arbeitgebers darauf, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmern ein solches System zur freigestellten Nutzung lediglich zur Verfügung stellt?

Bei diesen Fragen handelt es sich um im juristischen Schrifttum bislang kontrovers diskutierte Punkte. Das Bundesarbeitsgericht beruft sich im Rahmen seiner Entscheidung auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), insbesondere beruft sich das BAG auf das Urteil des EuGH vom 14. Mai 2019 – C-55-18 [CCOO]. Dazu heißt es dann im Beschluss des BAG in Rn. 23 wie folgt:

„Das geforderte System [= System, mit dessen Hilfe die Arbeitszeit erfasst wird, Anmerkung des Verfassers] darf sich – trotz des vom Gerichtshof verwendeten Begriffs der ´Messung´ – dabei nicht darauf beschränken, Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit (einschließlich der Überstunden) lediglich zu ´erheben´. Diese Daten müssen vielmehr auch erfasst und damit aufgezeichnet werden (aA H. Hanau ZFA 2020, 129, 133). Anderenfalls wären weder die Lage der täglichen Arbeitszeit noch die Einhaltung der täglichen und der wöchentlichen Höchstarbeitszeiten innerhalb des Bezugszeitraums überprüfbar (vgl. EuGH 14. Mai 2019 – C-55/18 – [CCOO] Rn. 47, 49). Auch eine Kontrolle durch die zuständigen Behörden wäre sonst nicht gewährleistet (vgl. EuGH 14. Mai 2019 – C-55/18 – [CCOO] Rn. 57). Die Pflicht zur Einführung beschränkt sich zudem nicht darauf, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmern ein solches System zur freigestellten Nutzung zur Verfügung stellt (aA wohl Thüsing/Flink/Jänsch ZFA 2019, 456, 468 ff.). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs muss er hiervon auch tatsächlich Gebrauch machen (vgl. EuGH 14. Mai 2019 – C-55/18 – [CCOO] Rn. 50) und es damit verwenden (ebenso Bayreuther NZA 2020, 1, 7; Rieble/Vielmeier Gutachten zur Umsetzung des EuGH-Urteils vom 14. Mai 2019 [C-55/18] in das deutsche Arbeitszeitrecht Rn. 35 ff.).“

  1. Was genau muss der Arbeitgeber aufzeichnen?

In dem Beschluss des BAG ist stets die Rede von „Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit“ (so etwa ausdrücklich im Leitsatz zu 1.), siehe dazu oben Frage 2). Das ist weniger als es beispielsweise § 17 Abs. 1 MiLoG (Mindestlohngesetz) für die dort geregelten Fälle vorsieht. § 17 Abs. 1 MiLoG lautet:

„Ein Arbeitgeber, der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach § 8 Absatz 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch oder in den in § 2a des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes genannten Wirtschaftsbereichen oder Wirtschaftszweigen beschäftigt, ist verpflichtet, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit dieser Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer spätestens bis zum Ablauf des siebten auf den Tag der Arbeitsleistung folgenden Kalendertages aufzuzeichnen und diese Aufzeichnungen mindestens zwei Jahre beginnend ab dem für die Aufzeichnung maßgeblichen Zeitpunkt aufzubewahren. Satz 1 gilt entsprechend für einen Entleiher, dem ein Verleiher eine Arbeitnehmerin oder einen Arbeitnehmer oder mehrere Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung in einem der in § 2a des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes genannten Wirtschaftszweige überlässt. (…).“

  1. Für welche Zeiträume muss der Arbeitgeber die Arbeitszeitaufzeichnungen aufbewahren?

Dazu sagt der Beschluss des BAG vom 13.09.2022 nichts!

  1. Gilt die Aufzeichnungspflicht, die das BAG fordert, für alle Arbeitnehmer?

Dazu heißt es in dem Beschluss in Rn. 55 wie folgt:

„bb) Die sich danach aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG ergebende Verpflichtung der Arbeitgeberinnen, ein System einzuführen und zu verwenden, mit dem Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeiten einschließlich der Überstunden erfasst werden, bezieht sich – wie für die Mitbestimmung nach § 87 BetrVG allein erheblich – auch auf alle in ihrem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer iSd. § 5 Abs. 1 Satz 1 BetrVG.“

  • 5 Abs. 1 Satz 1 BetrVG wiederum lautet:

„Arbeitnehmer (Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer) im Sinne dieses Gesetzes sind Arbeiter und Angestellte einschließlich der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten, unabhängig davon, ob sie im Betrieb, im Außendienst oder mit Telearbeit beschäftigt werden.“

  1. Gilt die Pflicht zur Arbeitszeitaufzeichnung auch für Außendienstmitarbeiter?

Ja, siehe dazu Frage 9.

Zusatzfrage: Gilt die Pflicht zur Arbeitsaufzeichnung auch für leitende Angestellte?

Nein. Das BAG verweist auf § 5 Abs. 1 BetrVG (siehe oben Frage 9). § 5 Abs. 3 BetrVG nimmt leitende Angestellte aus dem Anwendungsbereich des BetrVG aus und das führt im Ergebnis dazu, dass dieser Personenkreis seine Arbeitszeit nicht wird aufzeichnen müssen.

Zu weiteren Ausnahmen siehe § 5 Abs. 2 BetrVG.

  1. Gilt die Pflicht zur Arbeitszeitaufzeichnung auch für Mitarbeiter im Homeoffice?

Ja, das ergibt sich vermutlich aus dem Hinweis des BAG auf § 5 Abs. 1 Satz 1 BetrVG und den im Gesetz aufgenommenen Begriff der „Telearbeit“.

  1. Wie hat die Aufzeichnung stattzufinden? Ist eine elektronische bzw. digitale Aufzeichnung zwingend?

Hier lassen sich dem Beschluss des BAG keine Vorgaben entnehmen. Ausdrücklich wehrt sich das BAG gegen das Ansinnen des Betriebsrats die Zeiterfassung zwingend in elektronischer Form durchzuführen.

Im Beschluss des BAG heißt es sodann in Rn. 65:

„Nach den Vorgaben des Gerichtshofs der Europäischen Union ist zum Schutz der Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer ein ´objektives, verlässliches und zugängliches´ System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann (EuGH 14. Mai 2019 – C-55/18 – [CCOO] Rn. 38 ff., 60 ff.). Dabei besteht – solange vom Gesetzgeber (noch) keine konkretisierenden Regelungen getroffen wurden – ein Spielraum, in dessen Rahmen ua. die ´Form´ dieses Systems festzulegen ist (EuGH 14. Mai 2019 – C-55/18 – [CCOO] Rn. 63). Bei ihrer Auswahl sind vor allem die Besonderheiten der jeweils betroffenen Tätigkeitsbereiche der Arbeitnehmer und die Eigenheiten des Unternehmens – insbesondere seine Größe – zu berücksichtigen. Wie der Verweis des Gerichtshofs auf die Schlussanträge des Generalanwalts erkennen lässt (EuGH 14. Mai 2019 – C-55/18 – [CCOO] Rn. 63; Schlussanträge des Generalanwalts Pitruzzella vom 31. Januar 2019 – C-55/18 – [CCOO] Rn. 87), muss die Arbeitszeiterfassung nicht ausnahmslos und zwingend elektronisch erfolgen. Vielmehr können beispielsweise – je nach Tätigkeit und Unternehmen – Aufzeichnungen in Papierform genügen. Zudem ist es, auch wenn die Einrichtung und das Vorhalten eines solchen Systems dem Arbeitgeber obliegt, nach den unionsrechtlichen Maßgaben nicht ausgeschlossen, die Aufzeichnung der betreffenden Zeiten als solche an die Arbeitnehmer zu delegieren (vgl. auch Bayreuther NZA 2020, 1, 6 f.; ders. Rechtsgutachten im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales in Nachfolge des EuGH-Urteils vom 14. Mai 2019 [C-55/18] S. 38 ff.; Rieble/Vielmeier Gutachten zur Umsetzung des EuGH-Urteils vom 14. Mai 2019 [C-55/18] in das deutsche Arbeitszeitrecht Rn. 26 ff., 66 ff.; Thüsing/Flink/Jänsch ZFA 2019, 456, 471 ff.; Höpfner/Daum RdA 2019, 270, 277 f.; Schrader NZA 2019, 1035, 1037). Bei der Auswahl und der näheren Ausgestaltung des jeweiligen Arbeitszeiterfassungssystems ist jedoch zu beachten, dass die Verbesserung von Sicherheit und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer bei der Arbeit Zielsetzungen darstellen, die keinen rein wirtschaftlichen Überlegungen untergeordnet werden dürfen (vierter Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/88/EG; EuGH 14. Mai 2019 – C-55/18 – [CCOO] Rn. 66 mwN).

  1. Muss jetzt der Gesetzgeber tätig werden und ein Gesetz schaffen, das die Arbeitszeitaufzeichnung regelt?

Nein, der Gesetzgeber kann, aber er muss nicht tätig werden. Noch einmal zum Leitsatz 1.) des Beschlusses des BAG:

„Arbeitgeber sind nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet, Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer zu erfassen, für die der Gesetzgeber nicht auf der Grundlage von Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG eine von den Vorgaben in Art. 3, 5 und 6 Buchst. b dieser Richtlinie abweichende Regelung getroffen hat.“

Solange der Gesetzgeber nicht tätig geworden ist, bleibt es bei den rechtlichen Regelungen, wie sie dem Beschluss des BAG v. 13.09.2022 zu entnehmen sind.

Siehe auch nachfolgend Fragen 19 und 21.

  1. Kann der Arbeitgeber die Aufzeichnung der Arbeitszeit an seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter delegieren?

Ja, das kann er tun. Hier noch einmal Rn. 65 des zitierten Beschlusses:

„Zudem ist es, auch wenn die Einrichtung und das Vorhalten eines solchen Systems dem Arbeitgeber obliegt, nach den unionsrechtlichen Maßgaben nicht ausgeschlossen, die Aufzeichnung der betreffenden Zeiten als solche an die Arbeitnehmer zu delegieren (vgl. auch Bayreuther NZA 2020, 1, 6 f.; ders. Rechtsgutachten im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales in Nachfolge des EuGH-Urteils vom 14. Mai 2019 [C-55/18] S. 38 ff.; Rieble/Vielmeier Gutachten zur Umsetzung des EuGH-Urteils vom 14. Mai 2019 [C-55/18] in das deutsche Arbeitszeitrecht Rn. 26 ff., 66 ff.; Thüsing/Flink/Jänsch ZFA 2019, 456, 471 ff.; Höpfner/Daum RdA 2019, 270, 277 f.; Schrader NZA 2019, 1035, 1037).“

  1. Was gilt nach dem Beschluss des BAG v. 13.09.2022 für Überstunden, die der Arbeitnehmer leistet?

In der Antwort auf Frage 15 (siehe auch nachfolgend Frage 16!) kann der vielleicht spannendste Punkt der Entscheidung des BAG gesehen werden. Um es gleich zu sagen: Die Ausführungen des BAG zu Überstunden sind äußerst spärlich. Klar ist lediglich, dass die Pflicht zur Aufzeichnung auch für Überstunden gilt, was aber nichts wirklich Neues ist. Denn insoweit ist § 16 Abs. 2 ArbZG (Arbeitszeitgesetz), eine schon lange existierende Norm, zu beachten. Die Bestimmung lautet wie folgt:

„Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die über die werktägliche Arbeitszeit des § 3 Satz 1 hinausgehende Arbeitszeit der Arbeitnehmer aufzuzeichnen und ein Verzeichnis der Arbeitnehmer zu führen, die in eine Verlängerung der Arbeitszeit gemäß § 7 Abs. 7 eingewilligt haben. Die Nachweise sind mindestens zwei Jahre aufzubewahren.“

Siehe zum bußgeldbewährten Verstoß gegen § 16 Abs. 2 ArbZG auch nachfolgend Frage 17.

  1. Ändert der Beschluss des BAG v. 13.09.2022 etwas an der bislang maßgeblichen Rechtsprechung zur Darlegungs- und Beweislast bei Überstunden?

Das ist völlig unklar. Noch im Mai 2022 hat das BAG (freilich ein anderer Senat) wie folgt entschieden (BAG, Urt. v. 04.05.2022 – 5 AZR 359/21):

„Verlangt der Arbeitnehmer Überstundenvergütung, hat er im Prozess die Leistung solcher und deren Veranlassung durch den Arbeitgeber darzulegen. Vom Erfordernis der arbeitgeberseitigen Veranlassung ist nicht wegen der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Pflicht des Arbeitgebers zur Einrichtung eines Systems zur Erfassung der täglichen effektiven Arbeitszeit (EuGH 14. Mai 2019 – C-55/18 – [CCOO]) abzurücken.“

Ob das Urteil des 5. Senats vor dem Hintergrund der hier im Mittelpunkt stehenden Entscheidung des 1. Senats aufrechterhalten bleiben kann, erscheint unsicher.

  1. Gibt es Strafen oder sonstige Sanktionen, wenn der Arbeitgeber trotz des Beschlusses des BAG die Arbeitszeit nicht aufzeichnen lässt?

Nein, derartige Sanktionen sind aktuell nicht ersichtlich. Anders ist das aber bei Verstößen gegen § 16 Abs. 2 ArbZG (siehe dazu oben Frage 15). Hier droht ein Bußgeld nach § 22 ArbZG.

  1. Was gilt hinsichtlich des Beschlusses des BAG für die sog. Vertrauensarbeitszeit?

Die Vertrauensarbeitszeit ist ein schillernder Begriff. Soweit es um die Lage der täglichen Arbeitszeit geht, die der Arbeitnehmer im Rahmen der Regeln des Arbeitszeitgesetzes frei wählen kann, ändert sich daran nichts. Gegen eine so verstandene Vertrauensarbeitszeit spricht grundsätzlich nichts. Es gilt aber auch hier: Die Arbeitszeit ist aufzuzeichnen.

Soweit der Arbeitgeber mit Hilfe der Vertrauensarbeitszeit den Versuch unternimmt, dem Arbeitnehmer einen am Arbeitserfolg orientierten Arbeitszeitumfang abzuringen, kann das nicht erfolgreich sein. Es spielt grundsätzlich keine Rolle, wieviel Zeit der Arbeitnehmer benötigt, um einen vom Arbeitgeber vorgegebenen Arbeitserfolg zu erreichen. Es muss die Arbeitszeit vergütet werden und nicht der Arbeitserfolg. Das hat mit der hier behandelten Entscheidung des BAG nichts zu tun.

  1. Ist mit einem Gesetz über die Aufzeichnungspflicht zu rechnen?

Siehe dazu zunächst die Antwort auf Frage 13. Ob der Gesetzgeber kurzfristig tätig werden wird, kann derzeit nicht sicher gesagt werden.

  1. Gilt der Beschluss des BAG nur für zukünftige Zeiten, also solche ab oder nach dem 13.09.2022 oder entfaltet der Beschluss Rückwirkung?

Dazu sagt das BAG nichts ausdrücklich. Es ist aber davon auszugehen, dass die Entscheidung auch für Zeiten vor dem 13.09.2022 zu beachten ist.

  1. Wie ist der Beschluss des BAG insgesamt einzuschätzen?

Eine ausführliche Besprechung des Beschlusses würde ganz sicher den Rahmen dieser FAQ-Liste sprengen. So viel kann aber in aller Kürze gesagt werden: Der Beschluss ist ein Paukenschlag. Das BAG hat den Gesetzgeber düpiert. Es ist zu hoffen, dass die Ampelkoalition schnell reagiert und ein Gesetz auf den Weg bringt. Bis dahin gilt es, den Beschluss des BAG zu beachten.

  1. Zu der Entscheidung des Bundearbeitsgerichts vom 13. September 2022 gibt es auch eine Presseerklärung. Wo findet sich diese Erklärung?

Link zur Presseerklärung des BAG v. 13.09.2022:

https://www.bundesarbeitsgericht.de/presse/einfuehrung-elektronischer-zeiterfassung-initiativrecht-des-betriebsrats/

  1. Wie sieht es denn nun mit dem Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats aus?

Im konkret entschiedenen Fall ist der Betriebsrat mit seinem Antrag unterlegen. Das bedeutet aber nicht, dass es keine Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats gibt. Vielmehr steht dem Betriebsrat – sollte ein solcher vorhanden sein – ein Mitbestimmungsrecht bei der Ausgestaltung des Systems zur Arbeitszeiterfassung zu.

  1. Welche konkreten Handlungsempfehlungen gibt es für betroffenen Arbeitgeber?

Nun muss jeder Arbeitgeber bzw. Unternehmer entscheiden, was er macht. Der Handlungsauftrag des BAG ist eindeutig. Die Arbeitszeit aller Arbeitnehmer ist systematisch zu erfassen.

In aller Regel wird es keine andere Möglichkeit geben, als sich für eine elektronische Aufzeichnung zu entscheiden, auch wenn das BAG hierzu keine Vorgaben macht. Eine elektronische bzw. digitale Aufzeichnung wird die erste Wahl sein. Einfach deshalb, weil es sich hierbei in aller Regel um die einfachste Möglichkeit der Arbeitszeitaufzeichnung handelt, die auch für Außendienstmitarbeiter, bei Telearbeit usw. unkompliziert nutzbar ist.

In zahlreichen Fällen wird es sich anbieten, die Arbeitszeitaufzeichnung als Teil schon vorhandener Software zum Einsatz zu bringen. Dabei sollte aber darauf geachtet werden, dass entsprechende Module einfach zu handhaben sind und dem Arbeitgeber ausreichend Möglichkeiten verschaffen, die Ordnungsgemäßheit der Aufzeichnung überprüfen zu können. Letztlich ist auch auf die Kosten einer Softwarelösung zu achten.

  1. Was ist eigentlich mit dem Datenschutz?

Darüber verliert das BAG kein Wort. Offenbar sieht das Gericht an dieser Stelle – derzeit – keine Probleme!

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